Monday, March 25, 2019

Die Wesenszüge eines Märchens


Menschen haben Märchen ihr ganzes Leben gehört. Da sind Grimms Märchen, die Disney Varianten und so viele andere regionale Märchen. Aber was ist ein Märchen? Wann wir auf Google suchen, gibt es zwei Definitionen. Das erste ist „im Volk überlieferte Erzählung, in der übernatürliche Kräfte und Gestalten in das Leben der Menschen eingreifen [und meist am Ende die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden]“, und die zweite ist „unglaubwürdige, [als Ausrede] erfundene Geschichte.“ 

Max Lüthi sagte, dass ein Märchen nur ein hölicher Ausdruck für besonders kunstvoll gebaute Lügen ist. Es handelt sich um eine Dichtung, die den Menschen als solchen angeht. Die von Missionaren den Ureinwohnern erzälten Grimm-Märchen vermögen in manchen Fällen die einheimischen Geschichten zu verdrängen. Die Brüder Grimm haben die Märchen nicht genau so wiedererzählt, wie sie sie gehört haben, weil sie andere Elemente von Pentamerone übernehmen. Was er sagte, ist ähnlich wie die Definitionen von Google. Das Märchen ist unglaubwürdige aber eine überlieferte Erzählung. Aber was noch? 
Image result for max lüthi Max Lüthi

Da gibt es eine Polarität des Märchens. Die erste, worauf man denkt, ist gut gegen böse. Wir haben das in Dornröschen, während Dornröschen gut ist und die dreizehnten Gast böse. Da gibt viele andere, wichtige Polaritäten auch. Das Märchen erzählt von Tod und Auferstehung. Das Aufblühen der Rosenhecke und das erwachende schlafende Mädchen sind wie die tot daliegende Erde vor dem Frühling. Das königliche Schloss ist für Dornröschen Paradies und Gefängnis. Der Todesschlaf ist ihm Bann und Schutz. Den dominierenden Bildern in Dornröschen haben Polarität auch: Schloss und Turm, Dornen und Rosen, Menschen und Feen. Volksmärchen haben überhaupt: tote und lebendige Natur, Mensch und Menschwerk und jenseitige Mächte. Aber was noch? 

Image result for polarität Polarität

Die Figuren sind nicht individuell gezeichnet. Wir wissen nichts über die Persönlichkeit oder die Gedanken der Figuren. Sie sind total eindimensional und da wird keine Erlösungbögen geben. Die wunderbaren Tiere und Dingen sind auch eindimensional, aber sie haben menschliche Gefühle. Lüthi zählt Entbehrung, Sehnsucht, Schmerz, Freude, Entsetzen, Hoffnung, Bitterkeit, Empfindlichkeit, Rachsucht und Mitleid auf. 

Image result for wunderbare tiere Eine wunderbare Tiere

Die Erzählung ist mehr als eine phantasievoll stilisierte Liebesgeschichte. Man nimmt die Prinzessin unwillkürlich zugleich als ein Bild für die menschliche Seele. Die Erzählung schildert Begabung, Bedrohung, Lähmung und Erlösung des Menschen überhaupt. Abnormes Verharren im Zustande der Lähmung, den Lebensquell in sich selbst und den Kontakt mit der Umwelt neu zu finden.

Bib
Max Lüthi: Es war einmal. Vom Wesen des Volksmärchens. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2008
Willy Schuman (ed.): Grimms Märchen. Frankfurt: Surkamp/Insel. 1982

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